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Eine Postkarte vom Tempelhofer Feld für Götz Aly

Eine Postkarte vom Tempelhofer Feld für Götz Aly

Lieber Götz Aly,

Sie waren am Samstag Nachmittag auf dem Tempelhofer Feld spazieren. Es war windig, kalt, grau, 17 Drachen, 1 Modell-Flieger und 800 bis 1000 Leute da. Kurzum, es hat Ihnen nicht gefallen. Und das haben Sie in der Berliner Zeitung kund getan. Da kriegten alle ihr Fett ab: Leute, die schon in die Jahre gekommen sind und Allwetterkleidung tragen, die Grünen, das Volksbegehren für den Erhalt des Tempelhofer Feldes, die Vereinsmeier, das Militär, der Wind, das Feld.

Ich wollte den Artikel komplett außeinander nehmen. Warum gerade dieser Wind für das Stadtklima wichtig ist. Dass die Amerika Gedenkbibliothek von Anfang an auf Erweiterung gebaut war, und die Pläne dafür immer noch existieren und und und.

Das könnten andere besser, wandte Helmut ein. Außerdem sei die Bundesrepublik Deutschland ein Staat mit Meinungs- und Presse-Freiheit. Und dann betete er mir das halbe Grundgesetz runter. Die Medien müssten das Thema Tempelhofer Feld von möglichst allen Seiten beleuchten, das Unterste zuoberst kehren. Durch Erläuterung von These und Anti-These käme man zu einer Synthese. Das sei für die Demokratie wichtig. Ihr Artikel sei der Widerspruch, den eine demokratische Bewegung und eine demokratische Presse als Anstoß bräuchte.

Außerdem: Auch Granteln muss mal erlaubt sein. Schließlich sei Ihr Artikel nicht so dröge, wie die vielen Artikel, in denen nur die Pressemeldungen von der Senatsverwaltung oder von Grün Berlin wieder gegeben werden. Die Abschreiber verhielten sich in Ihrem vorauseilendem Gehorsam ja so, als ob es Zensur gäbe.

Helmut hat recht. Demokratie ist erlernbar, da braucht es auch Widersprüche. Sie haben einen solchen gebracht. Möge er die Diskussion fördern.

Mit schönen Grüßen vom Tempelhofer Feld
Liesl
PS:
Helmut war ein Freund in Kindertagen, ich habe ihn irgendwann aus den Augen verloren, aber in Gedanken ist er oft bei mir. Seine Eltern hatten ihn wegen Down Syndrom nicht eingeschult, sondern selbst unterichtet. Daher wusste er so viel auswendig. Rosa war nie seine Lieblingsfarbe, aber er würde verstehen warum ich dieses Foto von Benjamin Nauleau für Sie ausgesucht habe. Wegen Helmut war ich bei der von Theater RambaZamba gestalteten Lesung Ihres Buches über die Ermordung von über 200.000 Behinderten durch den nationalsozialistischen Staat und seine Handlanger. Das war ein beeindruckender Abend.

Foto: Benjamin Nauleau

Kurzlink: http://wp.me/p3QzZJ-oa